Großer Gott, wir loben dich
Das mächtigste Kirchenlied wird in diesem Jahr 250 Jahre alt
Selbst mäßig fromme Seelen verspüren kindlichen Jubel
Unserem christlichen Bewusstsein ist ein besonderer Moment eingeschrieben, an dem selbst sonst mäßig fromme Seelen unverhofft kindlichen Jubel verspüren. Es ist der Moment, meist am Ende eines Festgottesdienstes, wenn die Orgel „Großer Gott, wir loben dich“ anstimmt. Eine „Urgewalt“ nennt der deutsche Hymnologe Hermann Kurzke dieses Kirchenlied, das heute zum Standardrepertoire festlicher katholischer wie evangelischer Liturgien gehört.
Was ist das Geheimnis dieser herrlichen Hymne, die in diesem Jahr ihren 250. Geburtstag feiert? Es ist die Verbindung eines monumentalen Inhalts mit einem Walzertakt. Der für ein Kirchenlied untypische, beschwingte Dreivierteltakt verleiht dem altchristlichen „Te Deum laudamus“ seine leichte und fließende, ja heiter-erlöste Note.
Die Geschichte des Liedes beginnt in Schlesien im 18. Jahrhundert. Es ist die Zeit der katholischen Aufklärung. Dem Reformer Abt Johann Ignaz von Felbiger (1724-1788) liegt vor allem die Erneuerung der Pädagogik am Herzen. Schulen sollten nicht mehr nur Orte der Christenlehre sein, sondern die Schüler auch zu guten Bürgern heranbilden. Da der Gesang fester Bestandteil des Unterrichts war, wollte Felbiger auch ein neues Gesangbuch herausgeben. Dafür wandte er sich an Pfarrer Ignaz Franz (1719-1790) im schlesischen Schlawa. Der Geistliche und Musiker übernahm das Gesangbuch-Projekt und begann mit dem Komponieren. 1766 erschien die erste, 1768 die zweite Auflage des Gesangbuchs. In jener zweiten Auflage findet sich die erste Fassung von „Großer Gott, wir loben dich“, komponiert von Pfarrer Franz.
1771 nahm der Komponist weitere Anpassungen vor, und fertig war die Urform des heutigen Kirchenliedes. Zumindest textlich, die Melodie ähnelte der heutigen in Grundzügen. Pfarrer Franz hatte in seinem Lied das „Te Deum laudamus“ übersetzt und den altchristlichen liturgischen Hymnus, ganz im Sinne einer niederschwelligen Pädagogik, in einfache und anschauliche Reime gekleidet. Das Lied war damit geeignet, die gesamten Heilswahrheiten der katholischen Kirche zu veranschaulichen und zu lehren. Die ersten ersten drei Strophen preisen Gott als mächtigen Schöpfer und Gebieter. Die Strophen vier bis neun weiten den Blick auf Christus, seine Menschwerdung und sein Erlösungswerk sowie den Heiligen Geist als Tröster und Lehrer der Menschen. Das Lied schließt mit den letzten drei Strophen, in denen das heilige Volk Gottes, die Kirche also, spricht und Gottes Segen für ihre irdische Pilgerschaft erbittet.
Als das Lied 1774 im Katholischen Gesangbuch auf allerhöchsten Befehl von Kaiserin Maria Theresia erschien, war die Grundlage für seinen großen Erfolg gelegt. Viele Entwicklungslinien, Variationen und Anpassungen des Liedes haben von hier aus ihren Weg genommen. Allerdings hatten die rotestanten
besondere Probleme mit dem Lied. Sie sahen in der Komposition ein „geistliches Volkslied“, dessen Form dem hohen Anspruch seines Inhalts nicht angemessen wäre und etwa Luthers berühmter Te-deum-Übertragung „Herr Gott, dich loben wir“ nicht das Wasser hätte reichen können.
Doch noch folgenreicher waren die Adaptionen des 19. und 20. Jahrhunderts: Man kürzte die Strophen. Der Hymnologe Hermann Kurzke: „Die bei weitem häufigste protestantische Version besteht aus den Strophen 1 bis 3 und 10 bis 12.“ Die weggelassenen Strophen betreffen vor allem das Erlösungswerk Christi, gleich nach dem Gottlob ist vom Volk die Rede. Damit, so Kurzke, „war einem nationalistischen Verständnis Tür und Tor geöffnet“. Denn ohne die Rückbindung des Volks-Begriffes an die Heilsgeschichte, die das Volk als übernationale Gemeinschaft der Kirche qualifiziert, konnte unter „Volk“ jetzt eben auch eine Nation verstanden werden. So fand das Lied Eingang in die Militärgesangbücher der beiden Weltkriege.
Nach dem Krieg wurde „Großer Gott, wir loben dich“ als ökumenisches Kirchenlied von den beiden großen christlichen Konfessionen übernommen. Die heutigen elf Strophen sind Ergebnis einer theologischen Revision, die 1974 mit der Einführung des ersten Gotteslobs vorgenommen wurde. Seither ist „Großer Gott, wir loben dich“ die Nummer 1 der christlichen Loblieder-Charts.